Fortschrittsglaube und Verherrlichung von Technologien
Was will Medienkunst ? Die Geschichte der Medienkunst ist die einer apparativen Kunst, die weit bis ins rein mechanische, vorelektronische Zeitalter zurückreicht. Genährt und getrieben vom Mythos der Erschaffung künstlichen Lebens und der Unsterblichkeit forschten damals wie heute Wissenschaftler am positivistischen Fortschrittsglauben und der Verherrlichung von Technologie – im Gegensatz zu Geisteswissenschaftlern, traditionellen Kunsthistorikern und Kuratoren: Diese hegen bis heute ein tiefes Mißtrauen gegenüber Computern und dem Internet. In Wahrheit täusche Naturwissenschaft und Wirtschaft über ihre wahren Ziele die Öffentlichkeit mit Mythen, während sie Gelder für militärische Anwendungen und kapitalistische Ausbeutung neuer Arbeit sichere. Der Kunsthistoriker und Kurator Boris Magrini zeigt in seinem wissenschaftlichen Buch „Confronting the Maschine“ wie Künstler dem Computer begegnen und klärt das Verhältnis von Medienkunst zur zeitgenössischen gegenwärtigen Kunst.
Arpanet und folgende Überwachung
Unbestreitbar hat sich das ursprünglich rein militärische Arpanet zum heutigen Internet entwickelt. Überwachungstechnologien dienen sowohl staatlichen als auch privatwirtschaftlichen Interessen. Im großen Stil werden gigantische Datenmengen zur Profilierung von Menschenmaterial und deren kommerzieller und politischer Abschöpfung gesammelt, analysiert und ausgewertet. Künstliche Intelligenz wird einen großen Teil bisher menschlich verrichteter Arbeit durch autonome Maschinen ersetzen.
Netart und Glitchart
Zeitgleich mit Acid House und Techno taucht Ende der Achtziger Jahre Neue Medienkunst und später Netart empor, die wie JODI das Internet subversiv auf die Schippe nimmt. Das Künstlerduo erklärt von Anfang an mit voller Absicht alles falsch zu machen, was im Browser falsch zu machen ist. Sie rebellieren gegen die Technologie des Internets und dessen Kommerzialisierung mit einer Ästhetik von Fehlern, Viren und Bildstörungen – gespeist aus vorhandenem Webcontent. Auf der zehnten Dokumenta, die zum ersten Mal Medienkunst neben zeitgenössischer Kunst zeigt, wird JODI einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert und schreiben neuere Kunstgeschichte. Die jüngere Generation der Glitchartkünstler wie Rosa Menkman greift die Ästhetik der Netartkünstler auf, überträgt diese auf Bild- und Videoformate aller Art und feiert die Ästhetik des rebellisch Kaputten, während die Anonymous Bewegung mit Hacking für Freiheit im Internet kämpft.
Generative Kunst
Hingegen verfolgen die Computerpioniere der Siebziger wie Georg Nees oder Frieder Nake einen generativen Ansatz der Kunst. Sie stehen in keinem Konflikt mit dem Computer, sondern nutzen diesen für ihre künstlerischen Zwecke in einer der Wissenschaft ähnlichen Herangehensweise: Sie sind nach Magrini Entwickler und Programmierer, die sich der Kunst auf einer formal logischen Art widmen. Herbert Franke, seines Zeichens Naturwissenschaftler, Science-Fiction-Autor und Künstler, spricht in diesem Zusammenhang von Medienkunst als Brücke zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Gegenwärtige Medienkünstler wie Casey Reas und Ben Fry stehen in Bezug zur ersten Generation der Computerkünstler und machen den generativen Ansatz mit Processing international bekannt und populär.
Stallgeruch von Design
Gleichzeitig hafte nach Magrini speziell generativer Kunst der Stallgeruch von Design an, das aus Sicht von Medienkunst an sich schon verdächtig sei. Da generative Kunst weder selbstreflexiv, kritisch noch subversiv sich mit der Rolle des Computers in der Gesellschaft auseinandersetzt und es ihr in der Regel an einem gesellschaftskritischen Konzept mangelt, wird sie tendenziell nicht als solche anerkannt. Die Ausrichtung auf programmiercodierte formale Ästhetik macht sie stattdessen vielmehr schuldig im Sinne der Verherrlichung von Technologie.
Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben und die Digitale Teilung
Gegenüber der zeitgenössischen gegenwärtigen Kunst hat wiederum Medienkunst selbst mit dem gleichen Vorurteil der verleumdnerischen Computernähe zu kämpfen. Denn selbst wenn Medienkunst als Bioart und Artifical Art kritisch und oft konzeptlastig eindeutig Stellung bezieht, wird sie scheinbar vom international lukrativen zeitgenössischem Kunstmarkt ausgeschlossen – so eine aktuelle Diskussion in der Medienkunst. Manche Künstler kritisieren andererseits, der konzeptorientierten Medienkunst gehen oft ästhetische Qualitäten abhanden, was die Vermarktung solcher Werke neben anderen Aspekten um so komplizierter macht. Medienkunst lässt sich gegenüber klassischen Gemälden schlecht konservieren: Die komplizierten Apparaturen sind fehleranfällig, kostspielig in der Wartung, und die Technologien sind kurzlebig.
Auf der anderen Seite sind digitale Werke reproduzierbar und kopierbar. In einem kapitalbetriebenem Kunstmarkt, der wirtschaftlicher Logik von Angebot und Nachfrage folgt, mindert dieser Umstand ihren Wert gegenüber Ölgemälden. Kurz gefasst lässt sich Medienkunst gegenüber der physischen Objekthaftigkeit von Ölbildern schwerer vermarkten. Befeuert wird eine scheinbare Trennung der Medienkunst und zeitgenössischer Kunst von konservativen Kunsthistorikern und Kuratoren, die eine solche heraufbeschworen und aufrechterhalten. Die empfundene digitale Trennung wird vom Autor des Buches bestritten und vielmehr auf statistischen Phänomenen begründet: In einem Meer von Malern bilden Medienkünstler eine Insel – digitale Künstler sind lediglich vereinzelt in zeitgenössischen Kunstmuseen und Biennalen zu sehen, wie Nicolai in K21 in Düsseldorf, Kurokawa oder Ikeda auf der diesjährigen Biennale in Venedig.
Konzept versus Ästhetik
In der Diskussion um ein kritisches Konzept gegenüber der kritiklosen Ästhetik zeigen sich durchaus Parallelen zum Design. In dieser Disziplin ist der Ruf ebenfalls laut nach Konzepten, und die Kritik reiner Ästhetik vorhanden. Wie sehr sich doch in beiden Welten die Akteure schwer tun, beides zu vereinen. Denn wer will schon ein theoretisches Pamphlet kaufen, das nicht in der Lage ist einen zum Kauf zu verführen ? Auf der anderen Seite will sich keiner – der Verstand hat – mit inhaltsloser, wenn auch grafisch schöner, Dekoration blamieren.
Medienkunst steht sich mit Fokus auf Konzept und einer oft vernachlässigten Ästhetik einer Vermarktung selbst im Wege. Gleichzeitig ist der Autor überzeugt, dass die Rolle der Medienkunst als Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein falsches Leitbild sei und eher zur weiteren Spaltung von Medienkunst und zeitgenössischer Kunst beitrage. Daraus zu schließen wäre, dass sie sich eher einer kritischen Haltung widmen solle. Magrini ist überzeugt, dass Medienkunst als Neue Kunst ihre Festivalforen habe und einen eigenen Bereich entwickle. Die digitale Kunst sei in zeitgenössischen Sammlungen durchaus vertreten, wenn auch in geringerer Zahl – was einfach daran liege, dass es viel weniger digitale als klassische Künstler gibt.