It makes little difference what kind of man you areIt makes little difference what kind of man you are
Ars Electronica im Jahr der Pandemie
Auch im Jahr der Pandemie gibt es eine Ars Electronica – wenn auch größtenteils in digitaler Form. Nur wenige dürfen anreisen oder real teilnehmen. Einer davon ist Mario Klingemann. Für seine Installation Appropiate Response hat er ein neuronales Netzwerk mit Lebensweisheiten in Satzform gespeist. Das Netzwerk generiert aufgrund dieses Wissens selbstständig neue Sätze wie diesen: it makes little difference what kind of man you are.
Vier Livestreams
Die vier Livestreams des Festivals lassen alle Daheimgebliebenen am Festival teilnehmen. Ob Podiumsdiskussionen, Performances oder Werkdokumentationen – vier Tage lang wird Medienkunst in den Orbit gesendet. Mit stabiler Performanz.
Utopisten des „Weiter so“
Dieses Jahr reflektiert die Ars Electronica unter anderem mögliche gesellschaftliche Folgen der Covid-Krise. Während Utopisten eine Krise mit einem „Weiter so“ leugnen, sehen Realisten die Zukunft deutlich pessimistischer. Während zu Beginn des Milleniums der Fortschrittsglaube überwog, überschreiten wir bald einen unumkehrbaren Wendepunkt.
Planetarischer Kollaps
Ein planetarer Kollaps wird immer wahrscheinlicher. Die aktuelle Pandemie ist eher Folge als Ursache. Der erdgeschichtlich biologische Kühlschrank der sibirischen Permafrostböden wird aufgrund der Erderwärmung auftauen und neben Methangasen unzählige gefährliche Viren und Bakterien freisetzen und über den Erdball verteilen. Weitere Pandemien werden folgen. Medizinische Fehlschläge sind ebenfalls wahrscheinlich und werden der Politik keine andere Möglichkeit lassen als autoritär einzugreifen.
Wessen Überleben ?
Um welches Überleben geht es hier ? Um wessen Überleben ? Ein weiteres Mal um das Überleben des Kapitals und um die Freiheit einer neoliberalen Wirtschaftsordnung. Lufthansa ist de fakto ein staatlicher Betrieb dessen Gewinne jedoch weiterhin privat verbleiben. Im Sinne von Walter Benjamin besteht die eigentliche Krise im Weitermachen.
Künstlicher Stau real erzeugt
Neben vielen politisch motivierten Panels gibt es auch wieder eine Cyberarts Ausstellung. So täuscht beispielsweise Simon Weckert mit Google Maps Hack, Stau vor und bewegt Google dazu, den Verkehr entsprechend umzuleiten. Er verwendet dazu 99 Smartphones. Lauren Lee McCarthy zeigt mit Someone wie wir mit Alexa Komfort gegen Freiheit tauschen. Ein Urgestein der Medienkunst, Lynn Hershman Leeson, berichtet in ihrer Lesung von ihrem Lebenswerk, das sich um Identität, Programmierung der DNA und Profiling handelt.
Mehrdimensionaler Raum
Künstliche Intelligenz begleitet uns weiterhin thematisch, insbesondere im Bereich der Musik. Nach wie vor wird hier die Frage aufgeworfen, was Machine Learning eigentlich ist, welches Verhältnis der Künstler zu ihr hat, und vor allem – wo ihre Grenzen liegen. Machine Learning kann Regeln erkennen und lernen, diese in einem mehrdimensionalen Raum abbilden und Variationen daraus selbstständig ableiten.
Regeln brechen, um kreativ zu werden
Eine KI, die wie Bach Musikstücke spielt, ist zunächst beeindruckend, doch nicht so überraschend – generative Systeme waren dazu bereits vor einem Jahrzehnt in der Lage. Doch was macht Kreativität eigentlich aus ? Die Regeln alter Meister zu verstehen und variiert anzuwenden sicher nicht. Warum werden wir überhaupt kreativ ? Stravinksy wollte Beschränkungen überwinden. Dazu hat er Regeln gebrochen. Zuvor musste er das zugrunde liegende System verstanden haben und gewußt haben, worin seine Beschränkungen eigentlich lagen.
Ungedachte morphologische Dimensionsvariationen
Doch wie brechen wir Regeln, um neue Lösungen zu finden ? Bei allem Hype um KI spricht im Kontext der Coronakrisa niemand davon, dass Künstliche Intelligenz uns eine Antwort liefern wird. Wie erkennt eine KI, dass eine Variation außerhalb ihres mehrdimensionalen Raums liegt ? Die Stärke einer KI liegt im systematischen Durchforsten eines Möglichkeitsraums – und hier kann eine KI durchaus neue und vorher noch nicht gedachte Ergebnisse liefern, weil Menschen schlecht darin sind, systematisch Variationen in mehreren Dimensionen eines Themas durchzuspielen. Sie hören meist viel zu schnell auf oder verlassen sich auf bekannte und gelernte Regeln, die sie unnötigerweise einschränken.
Die erste wirklich digitale Ars Electronica
Aufgrund der vielen Beiträge bleibt eine gründliche Recherche unerlässlich. Ein Festival zum großen Teil im Netz zu veranstalten und es vor allem nur so zu besuchen, bedeutet auch viel weniger Exponate zu sehen – also weniger sinnlich zu erleben. Umso dankbarer ist es, sich Musikperformances wie den Elektronik-Liveact von Zanshin anhören zu können. Die etwas andere Ars Electronica wird dieses Jahr digital, was man von einem Festival für Medienkunst ja auch gewissermaßen erwartet.
13.09.2020
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