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Technobomben über BelgradTechnobomben über Belgrad

Belgrad klingt nach osteuropäischer Exotik, ist es auch. Das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung beträgt hier 300 Euro monatlich. Als ich einen ähnlichen Betrag bei Ankunft in die Währung vor Ort umtausche, spürt sich das entsprechend selt­sam an. Das Festival Resonate für Medienkunst lädt jährlich internationale Artists und Performer nah Belgrad ein. Berüchtigt sind hier Taxiunternehmen, die oft von zwielichtigen Gestalten betrieben werden und kaum von richtigen zu unterscheiden sind. Ebenso seltsam bis dubios ist der Umgang mit Wechselgeld in Technoclubs. Als ich dort bin, ahne ich nicht, dass es die letzte Resonate war.

Balkankombos mit angeheiterten Touristen

Belgrad war zu Zeiten des Ost­blocks block­frei und bereits west­lich orien­tiert. Die selt­same Zerissen­heit des Landes und die Kriegs­nachwehen sind noch all­gegen­wärtig. Durch die kyril­lische Schrift im städ­tischen Raum fühlt man sich im tief­sten Russ­land - Gaz­prom thront beim Ein­fahren durch Neo­grad, dem Platten­bau­teil, ins Stari­grad, dem histo­rischen Teil der Stadt. Balkan­kombos ziehen hier bis spät in die Nacht durch die Gegend und singen zusam­men mit ange­heiter­ten Touris­ten oder spielen direkt in Restau­rants und ziehen von Tisch zu Tisch.

Ein in die Wand geschlagenes Loch

Mann und Frau orien­tiert sich hier ent­weder am Osten, schwärmt für den kyril­lischen Ein­fluss und feiert zu Balkan­pop mit Zigeuner­charme – oder ent­scheidet sich für den Westen, für das Digi­tale und tanzt zu elektro­nischen Klängen in rauen Techno­bunkern. Draußen drei Grad, innen ein in die Wand geschla­genes Loch, um die Musik- und Licht­anlage mit einem Strom­kabel zu ver­sorgen. Ich bin hier auf dem Reso­nate-­Festi­val und werde direkt in die Zukunft ge­schos­sen.

Zwangsjacke als Abendgarderobe

Auf der Bühne steht ein schwarzer Mann in einer selt­samen Kluft – eine Mischung aus Zwangs­jacke und Abend­garde­robe. Er steht mit dem Rücken zum Pub­likum um­hüllt vom Nebel und schreit eine gefühlte Ewig­keit un­ver­ständ­liche Dinge zu har­schem Noise. Plötz­lich ändert sich der Sound, wird tanz­barer – der Krei­scher springt direkt ins Publi­kum und bahnt sich mit körper­licher Präsenz den Weg. Während Bom­ben über Bel­grad fielen, tanz­ten die Bel­grader zu Techno. Die Musik scheint die Kriegs­erle­bnisse zu ver­arbei­ten. Die raue und kaput­te Atmo­sphäre des Clubs spiegelt sich im Stadt­bild wider - vom Sozia­lismus runter­gewirtschaf­tete Fassa­den, vom Krieg zer­störte Gebäu­de und graffiti­verzier­te Wände. Techno ist tot, lang lebe Techno.

13.05.2017

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