Balkankombos mit angeheiterten Touristen
Belgrad war zu Zeiten des Ostblocks blockfrei und bereits westlich orientiert. Die seltsame Zerissenheit des Landes und die Kriegsnachwehen sind noch allgegenwärtig. Durch die kyrillische Schrift im städtischen Raum fühlt man sich im tiefsten Russland - Gazprom thront beim Einfahren durch Neograd, dem Plattenbauteil, ins Starigrad, dem historischen Teil der Stadt. Balkankombos ziehen hier bis spät in die Nacht durch die Gegend und singen zusammen mit angeheiterten Touristen oder spielen direkt in Restaurants und ziehen von Tisch zu Tisch.
Ein in die Wand geschlagenes Loch
Mann und Frau orientiert sich hier entweder am Osten, schwärmt für den kyrillischen Einfluss und feiert zu Balkanpop mit Zigeunercharme – oder entscheidet sich für den Westen, für das Digitale und tanzt zu elektronischen Klängen in rauen Technobunkern. Draußen drei Grad, innen ein in die Wand geschlagenes Loch, um die Musik- und Lichtanlage mit einem Stromkabel zu versorgen. Ich bin hier auf dem Resonate-Festival und werde direkt in die Zukunft geschossen.
Zwangsjacke als Abendgarderobe
Auf der Bühne steht ein schwarzer Mann in einer seltsamen Kluft – eine Mischung aus Zwangsjacke und Abendgarderobe. Er steht mit dem Rücken zum Publikum umhüllt vom Nebel und schreit eine gefühlte Ewigkeit unverständliche Dinge zu harschem Noise. Plötzlich ändert sich der Sound, wird tanzbarer – der Kreischer springt direkt ins Publikum und bahnt sich mit körperlicher Präsenz den Weg. Während Bomben über Belgrad fielen, tanzten die Belgrader zu Techno. Die Musik scheint die Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Die raue und kaputte Atmosphäre des Clubs spiegelt sich im Stadtbild wider - vom Sozialismus runtergewirtschaftete Fassaden, vom Krieg zerstörte Gebäude und graffitiverzierte Wände. Techno ist tot, lang lebe Techno.