Apokalypse nowApokalypse now
Zerstörung von Ressourcen
Eine dem Untergang geweihte Erde, lautstark protestierende Schüler auf dem Festivalgelände und minutenlange audiovisuelle Performances mit extrem energiereichen Bässen, die durch Mark und Bein gehen und den Körper mit dem Gefühl warmen Adrenalins durchströmen: die Apokalypse naht und wir können es spüren – auch auf der Ars Electronica. In der Zerstörung der eigenen Ressourcen liegt eine Faszination, derer sich schon die Futuristen nicht entziehen konnten. Wie sonst ließe sich die fortschreitende Vernichtung unserer Umwelt in vollem Bewusstsein der Konsequenzen erklären.
Das Internet in einer Krise
Nebenbei steckt das Internet in einer Krise. Wir werden überwacht. Die Euphorie des globalen Dorfs ist dahin. User werden zu Reiz-Reaktions-Maschinen degradiert. Die digitale Zitronenpresse quetscht das letzte Quäntchen Information aus uns heraus. Während in Amerika Datenkapitalismus und in China Datentotalitarismus herrscht, kontert Europa mit Digitalhumanismus: Leitlinien zum Umgang mit Datenschutz etablieren sich weltweit zum Standard. Obwohl es Europa an Rohstoffen mangelt, schlägt es aus Veredelung von Rohöl und anderem Kapital. Warum nicht auch Daten veredeln ?
Die Sparten elektronischer Kunst
Was will die Ars Electronica eigentlich ? Vieles in vielen Kategorien, vor allem einen Bezug von Gesellschaft, Politik und Technologie – zumindest in der Begründung der Kunstwerke. Reine auf sich selbst bezogene Ästhetik meist weniger. Künstler kämpfen mit Maschinen, um ihnen ästhetisches Erleben und geistige Erkenntnis zu entlocken. Künstliche Intelligenzen werden vor allem in der Musik zu Gegenspielern von Performern und Musikern. Wer kann einem Treffen mit seinem elaborierten künstlichen Ich widerstehen ? Wer in künstlicher Intelligenz führt, regiert die Welt. Das weiß auch Putin und investiert entsprechend. Künstliche Intelligenz bleibt nach wie vor ein heißes Thema. Technisch anspruchsvoll wird es von Künstlern nicht immer durchdrungen, stattdessen oft illustrativ oder mit herkömmlichen Ingenieuransatz der Programmierung gelöst. Cyberart und Bioart dagegen werden ähnlich wie bei Dokumenta-Beiträgen konzeptionell dominiert und mit gebauter Objektkunst aus Elektronik illustriert.
Ungewöhnliche Schauplätze
Die Ars Electronica bietet Einblicke in viele Facetten elektronischer Kunst. Dieses Jahr ist selbst ein Ausflug in das benachbarte Klosterstift St. Florian vorgesehen. Dort lauschen wir in einem atmosphärischen Kellergewölbe einer Soundanlage mit zwanzig räumlich verteilten Lautsprechern Werken von Xenakis. Im Animationsbereich erfahren wir, dass Raumzeit mit der Timeslice-Methode relativistischen Realitätsverzerrungen gleicht. In A/V-Performances zeigen Künstler, wie Realtime-Visualisierung und Realtime-Sonifikation die Grenzen des Livebegriffs radikal neu definieren.
Berechnende Menschen und Programme
Software wie Ableton Live für Musik, und Madmapper oder Modul8 für Visuals verlangen stets ein aufwendiges handwerkliches Vorgehen im Vorfeld. Auswendig gelernte Stücke an Gitarre, Bass und Schlagzeug werden von Musikern aufgeführt, die sich als präzise Computer mit menschlicher Ungenauigkeit präsentieren: Den minutiös geplanten Rockshows mit einstudierter Gestik bleibt nichts dem Zufall überlassen und ist am Ende alles andere als live. Dressierte Affen im Frack spielen klassische Musikstücke. Warum machen wir das überhaupt ? Wollen wir beweisen, dass wir die besseren Computer sind ?
Das wichtigste Medienkunstfestival
Ob Künstliche Intelligenz, Bioart, A/V-Performance – eins ist sicher: nur wer in der Lage ist, das reichhaltige Programm im Vorfeld der Ars Electronica selbstständig zu strukturieren und die gebotene Information entsprechend zu verarbeiten, wird aus dem Festival Vorteile ziehen. Das Grafikdesign der Ars Electronica verweigert sich erfolgreich und konstant seit seiner Gründung vor 40 Jahren den Gesetzen guter Form und einer strukturierten Typografie. Ein Veranstaltungsplakat ist häßlicher als das andere, wie auf der diesjährigen Retrospektive deutlich wird. Den Inhalten und den Kunstwerken hat es nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: die Ars Electronica gilt als das weltweit wichtigste Medienkunstfestival.
Generative Künstler
An generativen Künstlern ist mir neben Memo Akten, Tadej Droljc sowie auf dem Besuch vor zwei Jahren Alex Augier in Erinnerung geblieben. Tadej Droljc arbeitet mit Max und zaubert dort räumlich dynamische Partikelsysteme, die er mit Handgesten steuert und gleichzeitig generativ sonifiziert. Zu sehen war seine Arbeit Singing Sands im Deep Space 8K. Von onformative aus Berlin war ein generativer mäandernder Fluß als Installation auf acht aneinander gehängten Bildschirmen zu sehen. Alba Corral wird im Februar im Ircam in Paris neben Tadej Droljc und Alex Augier zu erleben sein. Antye Greie aka AGF lieferte beeindruckendes Visualmaterial zu Vladislay Delays dystopischer Musik. Ryoichi Kurokawa verarbeitete große Voxelmengen an räumlichen Daten, die er gleichzeitig eindrucksvoll mit Sound in Szene setzte. Martin Reinhard und Virgil Widrich zeigten in ihrem Film und der Installation tx-reverse, wie Bilder relativistische Zeit darstellen können.