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Reading Lips von Spela Petric: Die spekulative Installation basiert auf einem Artikel aus der Zeitschrift Science. Darin wird eine in naher Zukunft mögliche Interaktion zwischen Mensch und Pflanze beschrieben. Pflanzliches Lippenlesen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz könnte in Kommunikation von Begriffen wie Weniger, Mehr und Stopp münden. Erinnert daran, dass wir im Grunde bereits von Aliens umgeben sind, jedoch nicht in der Lage sind sie zu verstehen, weil wir ihre Sprache nicht sprechen können. Wenn wir davon träumen eine intelligente Lebensart im Weltall zu finden, so suchen wir doch nur ein bestätigendes Spiegelbild unserer Selbst. Währenddessen verdauen wir die Aliens auf unserem eigenen Planeten, die wir nicht verstehen können und wollen.
Modified Paradise: Dress von Another Farm aus Japan: Skulpturales Werk aus luminiszenter Seide. Unsere Pflanzen- und Tierwelt wird seit geraumer Zeit genetisch modifiziert, dessen wir uns im Grunde kaum bewußt sind. Unter den Modifizierten befindet sich auch die Seidenraupe, deren Produkt hier aus Ausgangsmaterial verwendet wird. Wo sind die moralischen Grenzen genetischer Modifikation, fragen die Künstler, selbst wenn diese Frage im Kontext dieser ästhetischen Arbeit weniger dramatisch ausfällt.
Deep ../data Prototypes von Andy Gracie aus Großbritannien: Ein spekulativer astrobiologischer Versuchsaufbau, der die Überlebensfähigkeit von Pflanzen im extraterrestrischen Raum unter differenten magnetischen und spektralen Lichtbedingungen anderer Planeten testet. Diese Installation zeigt den illustrativen Charakter vieler Arbeiten in Bioart und Cyberart auf der Ars Electronica, die ähnlich wie auf der Dokumenta stark konzeptionell geprägt sind.
Putting the Pieces Back Together Again von Ralf Baecker: Kinetische Installation mit selbstorganisierendem und emergenten Verhalten. 1250 Schrittmotoren von 8 Arduino-Boards gesteuert rotieren weiße Stifte auf schwarzem Grund. Die Stiftradien sind überschneidend angelegt und die Drehrichtung ändert sich, sobald ein Stift den anderen berührt.
Liminal von Louis-Philippe Rondeau aus Kanada: Das interaktive Werk von Louis-Philippe Rondeau gleicht einem Tor zwischen zwei Dimensionen. Eine Videokamera zeichnet beim Durchschreiten des Tors den Besucher auf. Visualisiert wird hier ein fortlaufender Zeitstrahl. Das Bild zeigt in der Horizontalen die Zeit und basiert auf der Timeslice-Methode. Der Film und die Installation tx-reverse von Martin Reinhart und Virgil Widrich aus Österreich basieren auf der gleichen Methode – erweitern diese auf das Medium Film. Bei Rondeau hingegen lässt sich der Entstehungsprozess leichter nachvollziehen.
Last Breath von Dmitry Morozov: Als passives Instrument bezeichnet der russische Künstler Dmitry Morozov seine Orgelinstallation, die er selbst noch im Augenblick des Sterbens spielen kann.
Rakka von Vladislay Delay und AGF aus Finnland und Deutschland: Dystopische Soundwall von Vladislay Delay mit den Visuals von AGF. Visueller Open-GL-Wahnsinn.
Subassemblies von Ryoichi Kurokawa: AV-Performance des japanischen Künstlers Ryoichi Kurokawa. Mit einem Lidar-Sensor aufgenommene 3D-Laserdaten. Wir durchschreiten virtuell und akustisch begleitet Wälder und Lost Places. Die visuelle Datenmenge in Form von Voxels baut sich schichtweise auf, löst sich in fallender, verschiebender und explodierender Bewegung auf. Vor schwarzem Hintergrund wirkt die Szenerie mystisch aufgeladen. Eine atomisierte Welt zerfällt in seine Bestandteile und verdeutlicht uns Vergänglichkeit und Fragilität. Gleichzeitig verstehen wir, wie unsere Welt Stück für Stück in seinen kleinsten Bestandteilen durchforstet und digital erfasst wird. Google und Konsorten sind die Humboldts unserer Zeit.
Doing Nothing with AI: Neuroaktive robotische Installation, die auf der Messung von EEG-Gehirnströmen von Besuchern basiert. Der Luxus des Nichtstun wird in Zeiten hektischen Aktionismus als Wert begriffen. Mit der Zeit lernt der generative Algorithmus der Maschine die Gelassenheit eines umherschweifenden Gedankens zu visualisieren. Klingt abstrakt, sieht in Bewegung geschmeidig aus.
AI-Robot: Eine künstliche Intelligenz in Erscheinung eines putzig klobigen Roboters spielt ein Konsolenvideogame aus den Achtzigern.
Alive Painting von Akiko Nakayama: Akiko Nakayama visualisiert das Bruckner Orchester mit ihren analogen Farbmischungen von erstaunlicher Komplexität. Diese überträgt sie mit einer Videokamera live auf einen großen Bildschirm. Das Spiel mit physikalisch-chemischen Prozessen beeinflußt sie durch selbstgebaute computergesteuerte Ventilatoren und Luftröhrchen.
Silk von Silke Grabinger und anderen: In blau gekleidete Domina tanzt gegen einen männlichen Kuka-Roboter an, der in Form ihres künstlichen Ichs ihr tänzelnd gegenübertritt. Wer beherrscht hier wen ? Wer reagiert auf wen ? Die künstliche Intelligenz als Gegenspieler des Menschen wird hier als performatives Bild direkt sichtbar und erlebbar.
Live A/V-Performance von BABii aus dem United Kingdom: BABii mit einer musikalischen Mischung aus Kawaii, Pop und Witchhouse. Wird von Death Waltz Recording vertrieben.
Kids von Michael Frei und Mario von Rickenbach aus der Schweiz: Kids ist ein Film und eine interaktive Installation, die das Partikelverhalten und menschliche Gruppendynamikprozesse untersucht. Die Figuren definieren sich durch ihre Beziehung zu ihren Nachbarn. Sie besitzen keine Charakterisierung.
Fantasie von Quadrature: Quadrature verarbeitet Signale aus dem Weltall mit einem Radarteleskop. Ein neuronales künstliches Netzwerk sucht nach bekannten Mustern im Weltraumrauschen und übersetzt dieses in Orgeltöne.
Fantasie von Quadrature: Quadrature verarbeitet Signale aus dem Weltall mit einem Radarteleskop. Ein neuronales künstliches Netzwerk sucht nach bekannten Mustern im Weltraumrauschen und übersetzt dieses in Orgeltöne.
Mit Lidarsensor erzeugtes Voxelbild: Ein Lidarsensor ist eine 3D-Laser-Kamera, die ihre Umgebung in 360 Grad aufnimmt. Die erfasste Umgebung wird in Voxels dargestellt. Die gescannte Umgebung wird in kleine 3D-Atome im Raster aufgelöst. Den Lidarsensor gibt es auch als tragbaren Rucksack, um beim Wandern die Umgebung aufzunehmen. Ihr vorrangiges Einsatzgebiet ist autonomes Fahren. Hierbei befindet sich die Kamera auf dem Dach eines Autos.

Apokalypse nowApokalypse now

Im Jahr 2019 feiert die Ars Electronica ihr 40-jähriges Bestehen. Die jährlichen Plakate sind alles andere als sehenswertes Grafikdesign – das Festival verweigert sich konsequent typografischen Grundsätzen. Fridays for Future Aktivisten protestieren lautstark auf dem Festivalgelände. Die Apokalypse erfasst passenderweise auch das Medienkunstfestival. Die Verbindung von Gesellschaft und Technologie wird ernst genommen. Zum letzten Mal wird die Ars Electronica auf dem alten Postgelände in Linz veranstaltet. Insbesondere die Medienkunstausstellung in den unterirdischen Bunkeranlagen ist sehenswert.

Medien­kunst­festival Ars Electronica in Linz mit dem Roboter Cryptid von Michael Candy aus Australien

Zerstörung von Ressourcen

Eine dem Unter­gang geweihte Erde, laut­stark protes­tierende Schüler auf dem Festival­gelände und minuten­lange audio­visuelle Perfor­mances mit extrem energie­reichen Bässen, die durch Mark und Bein gehen und den Körper mit dem Gefühl warmen Adrena­lins durch­strömen: die Apoka­lypse naht und wir können es spüren – auch auf der Ars Electronica. In der Zerstörung der eigenen Ressourcen liegt eine Faszi­nation, derer sich schon die Futur­isten nicht ent­ziehen konnten. Wie sonst ließe sich die fort­schreitende Ver­nichtung unserer Umwelt in vollem Bewusst­sein der Konse­quenzen erklären.

Das Internet in einer Krise

Neben­bei steckt das Internet in einer Krise. Wir werden über­wacht. Die Eupho­rie des globalen Dorfs ist dahin. User werden zu Reiz-Reak­tions-Maschinen degra­diert. Die digitale Zitronen­presse quetscht das letzte Quäntchen Infor­mation aus uns heraus. Während in Amerika Daten­kapitalismus und in China Daten­totali­tarismus herrscht, kontert Europa mit Digital­humanismus: Leit­linien zum Umgang mit Daten­schutz etablieren sich weltweit zum Standard. Obwohl es Europa an Roh­stoffen mangelt, schlägt es aus Ver­edelung von Rohöl und anderem Kapital. Warum nicht auch Daten veredeln ?

Die Sparten elektronischer Kunst

Was will die Ars Electronica eigent­lich ? Vieles in vielen Kate­gorien, vor allem einen Bezug von Gesell­schaft, Politik und Techno­logie – zumindest in der Begründung der Kunst­werke. Reine auf sich selbst bezogene Ästhetik meist weniger. Künstler kämpfen mit Maschinen, um ihnen ästhetisches Erleben und geistige Erkenntnis zu entlocken. Künstliche Intelli­genzen werden vor allem in der Musik zu Gegen­spielern von Performern und Musikern. Wer kann einem Treffen mit seinem elabo­rierten künst­lichen Ich wider­stehen ? Wer in künstlicher Intelligenz führt, regiert die Welt. Das weiß auch Putin und investiert ent­sprechend. Künst­liche Intelli­genz bleibt nach wie vor ein heißes Thema. Technisch anspruchs­voll wird es von Künstlern nicht immer durch­drungen, statt­dessen oft illus­trativ oder mit her­kömm­lichen Ingenieur­ansatz der Program­mierung gelöst. Cyberart und Bioart da­gegen werden ähnlich wie bei Dokumenta-­Beiträgen konzep­tionell dominiert und mit gebauter Objekt­kunst aus Elektronik illustriert.

Ungewöhnliche Schauplätze

Die Ars Electronica bietet Einblicke in viele Facetten elektro­nischer Kunst. Dieses Jahr ist selbst ein Ausflug in das benach­barte Kloster­stift St. Florian vorg­esehen. Dort lauschen wir in einem atmos­phärischen Keller­gewölbe einer Sound­anlage mit zwanzig räumlich ver­teilten Laut­sprechern Werken von Xenakis. Im Animations­bereich erfahren wir, dass Raum­zeit mit der Timeslice-­Methode relati­vis­tischen Realitäts­verzer­rungen gleicht. In A/V-Perfor­mances zeigen Künstler, wie Real­time-Visuali­sierung und Real­time-Soni­fikation die Grenzen des Live­begriffs radikal neu defi­nieren.

Berechnende Menschen und Programme

Software wie Ableton Live für Musik, und Mad­mapper oder Modul8 für Visuals verlangen stets ein auf­wen­diges hand­werkliches Vor­gehen im Vorfeld. Aus­wendig gelernte Stücke an Gitarre, Bass und Schlag­zeug werden von Musikern auf­geführt, die sich als präzise Computer mit mensch­licher Ungenauig­keit präsen­tieren: Den minutiös geplanten Rock­shows mit ein­studierter Gestik bleibt nichts dem Zufall über­lassen und ist am Ende alles andere als live. Dressierte Affen im Frack spielen klassische Musik­stücke. Warum machen wir das über­haupt ? Wollen wir beweisen, dass wir die besseren Computer sind ?

Das wichtigste Medienkunstfestival

Ob Künst­liche Intelli­genz, Bioart, A/V-Performance – eins ist sicher: nur wer in der Lage ist, das reich­haltige Programm im Vorfeld der Ars Electronica selbst­ständig zu struktu­rieren und die gebotene Infor­mation ent­sprechend zu ver­arbeiten, wird aus dem Festival Vor­teile ziehen. Das Grafik­design der Ars Electronica verweigert sich erfolgreich und konstant seit seiner Gründung vor 40 Jahren den Gesetzen guter Form und einer struktu­rierten Typo­grafie. Ein Veran­staltungs­plakat ist häß­licher als das andere, wie auf der dies­jährigen Retro­spektive deutlich wird. Den Inhalten und den Kunst­werken hat es nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: die Ars Electronica gilt als das weltweit wichtigste Medien­kunst­festival.

Generative Künstler

An generativen Künstlern ist mir neben Memo Akten, Tadej Droljc sowie auf dem Besuch vor zwei Jahren Alex Augier in Erinnerung geblieben. Tadej Droljc arbeitet mit Max und zaubert dort räumlich dynamische Partikelsysteme, die er mit Handgesten steuert und gleichzeitig generativ sonifiziert. Zu sehen war seine Arbeit Singing Sands im Deep Space 8K. Von onformative aus Berlin war ein generativer mäandernder Fluß als Installation auf acht aneinander gehängten Bildschirmen zu sehen. Alba Corral wird im Februar im Ircam in Paris neben Tadej Droljc und Alex Augier zu erleben sein. Antye Greie aka AGF lieferte beeindruckendes Visualmaterial zu Vladislay Delays dystopischer Musik. Ryoichi Kurokawa verarbeitete große Voxelmengen an räumlichen Daten, die er gleichzeitig eindrucksvoll mit Sound in Szene setzte. Martin Reinhard und Virgil Widrich zeigten in ihrem Film und der Installation tx-reverse, wie Bilder relativistische Zeit darstellen können.

09.09.2019

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