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Geräu­cher­ter 3D Schinken im Barock­rahmenGeräu­cher­ter 3D Schinken im Barock­rahmen

Das möglichst naturgetreue Abbild der Realität war im Kunstbetrieb lange Zeit Maßstab für künstlerische Qualität. Werke wurden weitestgehend auf formaler Ebene bewertet. Künstler waren Handwerker, die für Kirchen arbeiteten. Finanziell betrachtet emanzipizierten sie sich nach und nach im bürgerlichen Umfeld zu Unternehmern. Formal betracht zwang sie der Fotoapparat auch zur formalen Emanzipation – weg vom gegenständlichen Malen hin zum Geisten und Abstrakten.

Analoge Welt digital nachbilden

Warum muss ein digi­taler Knopf aus­se­hen wie ein ana­loger? Sei es Nostal­gie, eine wage Zukunfts­angst oder der Wunsch, möglichst viele Menschen in der analogen Welt ab­zu­holen – der Drang, die echte Welt digital nach­zu­bilden, ist groß. Diese Tendenz heißt Skeuo­morphismus.

Vom Gegenständlichen zum Abstrakten

Möglicher­weise hat die Kunst­geschichte mit der digitalen Entwicklung viel mehr gemeinsam als auf den ersten Blick ersicht­lich. In der Bildenden Kunst war zunächst das hand­werkliche Können das zentrale Betätigungs­feld des Künstlers: ob ein exakter Falten­wurf oder die perfekt gemalte mensch­liche Physio­gnomie – ein möglichst natur­getreues Abbild der Realität stand jahr­hundert­lang im Vorder­grund. Die Erfindung des Foto­apparats führte zu einer Eman­zipation der Kunst von der Gegen­ständlich­keit hin zum Geis­tigen und Abstrak­ten.

Skeuo­morphismus im Interface-Design

Im Inter­face-­Design lässt sich eine ähnliche, jedoch extrem be­schleu­nigte Entwick­lung beo­bachten: So ahmten bei­spiels­weise digi­tale Kalender oder Notiz­bücher vor einigen Jahren noch ihre ana­logen Pendants nach – inklusive Leder­einband, Esels­ohren und Ring­bindung. Drei­dimen­sionalität wurde mit­hilfe einer komplexen Schatten­gebung vor­getäuscht, Texturen waren exakt modelliert – ein hand­werklich perfekter Skeuo­morphismus. Diese Dar­stellungs­form gilt im Inter­face­design mittler­weile als über­wunden. Die Abstrak­tion von Form mündet in der digi­talen Gestal­tung im so­genann­ten Flat­design. Dabei werden Benutzer und seine Erfahrung in den Mittel­punkt gestellt – weg vom Gegen­ständ­lichen hin zum Abstrak­ten.

Virtueller Skeuo­morphismus

Ganz anders sieht es jedoch in der vir­tuellen Realität aus: Hier steht noch das Hand­werkliche im Vorder­grund, die perfekte Nach­ahmung der »echten Welt« – ein geräu­cher­ter 3D-­Schinken im Barock­rahmen. Welche Rich­tung schlägt die drei­dimen­sionale Gestal­tung ein? Wird auch hier die Abstrak­tion Einzug halten?

19.01.2017

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