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Jenseits von Gut und BöseJenseits von Gut und Böse

Der widersprüchliche Charakter Nietzsches macht es schwierig, ihn zu fassen. Wie ein Stück Seife pendelt er als Vertreter postmoralischer geistiger Freiheit auf der einen Seite und Brandstifter menschlicher Überheblichkeit auf der anderen Seite. Kunst kannst seicht und schön oder grausam, enthemmt und häßlich sein.

Friedrich Nietzsche

Der Übermensch rechnet mit Christen ab

Faule und bauern­schlaue Menschen zitieren gerne Frag­mente bekannter Philosophen, Künstler, Wissen­schaftler und Poeten, um sie im eigenen Kontext zu verbiegen. Das Konzept des Über­menschen von Nietzsche ist sicherlich ein Beispiel dafür. Als Sohn eines Land­pfarrers geboren, zum Anti­christ mutiert, rechnet Nietzsche mit vielem ab – vor allem mit der Moral des Christen­tums. Im Spät­werk antis­emitisch und polemisch trägt er vermutlich zum geistigen Fackel­boden folgender Zeiten bei. Vor allem zeigt er jedoch wie christliche Moral erst Sklaven­moral ermöglicht: Die ewig benach­teiligten Guten werden im Jenseits zu Rächern der bösen Herren­menschen, die ohne Gewissens­bisse mit Ja und Amen ihre Macht im Dies­seits bejahen. Wohl nicht ganz zufällig begrün­det die Partei mit dem C im Namen im post­national­sozialis­tischen demo­kratischen Deutsch­land lange Zeit ihre Macht auf konser­vativen bürger­lichen Glaubens­bekennt­nissen. Während die einen genug von Schuld und Sühne haben, tragen die anderen das Banner des Gedenkens in Scham vor sich her.

Kritik an unterwürfiger Haltung von Kunst

Eben jenseits von Gut und Böse sieht Nietzsche den Mensch in einer post­mora­lischen Welt, die den Nihilismus als Über­gang zum Zustand geistiger Freiheit braucht. Zum Herren­menschen gegen­sätzlich sieht er schwache Menschen, die eine An­gleichung ihrer in der Menge suchen. Im Geiste einer strengen Aufklärung habe Wissen­schaft und Philosophie hier eine besondere Aufgabe zu leisten. Während Nietzsche einer­seits für die Kunst als höchsten geistigen Ausdruck schwärmt, kritisiert er anderer­seits ihre unter­würfige Haltung im Dienste des Wissens und sokra­tischer Klug­heit. Diese Kehrt­wende hängt sicherlich mit seinem persön­lichen Verhältnis zu Wagner zusammen.

Seichte Banalitäten und grausame Häßlichkeit

In seinen Äußerungen zum Verhält­nis von Kunst, Wissen­schaft und Ästhetik bezieht er sich auf die griechische Mytho­logie. Während Apollon dem schönen Schein verfällt, zieht es Dionysos in den Ausbruch einer rausch­haften grausamen Ent­hemmung einer dunklen Urkraft. Das Grausame und Häßliche wird hier dem Schönen und Seichten als Kraft ent­gegen­gesetzt. In Nietzsche finden wir eine Ästhetik des interessant Häßlichen im Gegensatz zur gut­mensch­lichen Suche nach einer trans­zendenten Wahr­heit, wie sie Kant und Hegel als Rolle für den Künstler beschreiben. Im wissen­schaftlichen Mensch sieht Nietzsche vor allem in seiner positi­vistischen Periode die Weiter­entwicklung des künstle­rischen Menschen. Gleich­zeitig zeigt er seine Abneigung gegen­über einer allzu systema­tischen Methodik, die eher für mittel­mäßige Geister geeignet sei. Denn im ewig Wieder­kehrenden sei das Chaos die einzige Konstante. Diese Aussagen sind sicher­lich auf Nietzsches persön­lichen Erfahrungen mit dem Universitäts­betrieb zurück­zu­führen – sowohl als Student wie auch als Professor.

Wissenschaft als bessere Kunst

Interessant in diesem Licht wäre die Betrachtung zeit­genös­sischer, klassischer Kunst und Medien­kunst sowie das Verhältnis von Syste­matik und Intuition im All­gemeinen. Eine stark konzep­tionell geprägte wenig sinnliche zeit­genössische Kunst oder Medienkunst wäre nach Nietzsche gesprochen zu sehr in den Dienst einer sokra­tischen Botschaft gestellt. Gleich­zeitig kritisiert er auch einen Fort­schritts­glauben, sieht jedoch im wissen­schaft­lichen Menschen den besseren künst­lerischen Menschen – auf Kunst bezogen den Medien­künstler. Die Suche nach dem Wahr­haften und dem Schönen in den klassisch orien­tierten Künsten befördert hingegen zugleich die Seichtig­keit. Sinn­lichkeit als Opponent des Konzep­tionellen wäre sowohl schön und seicht als auch düster und zerstö­rerisch denkbar.

Die Dolce Vita der Relativitätstheorien

Während Nietzsche Syste­matik wenig abge­winnen kann, obwohl gerade Wissen­schaft darauf beruht und deswegen so erfolg­reich ist, misst er der Intuition in einer chao­tischen Welt um so mehr Bedeutung zu. Hier schlägt das Konzept des künstle­rischen und wissen­schaftlichen Genies durch, der die zündende Idee hat, während das Fußvolk mit mittel­mäßigen Verstand den großen Rest dann abzuarbeiten habe. Nietzsche war weder Wissen­schaftler noch Künstler. Wenn Einstein vom zündenden genialen Funken spricht, meint er den großen Rest, den er zuvor durch­schritten hat, der ihn erst zum Funken gebracht hat – nicht etwa vom Über­springen des Schritts zuvor: In einer Dolce Vita der Ideen­geber gammelt Einstein einen Cocktail schlürfend am Pool und entwickelt zwischen Small­talk und heißen Miezen die Rela­tivitäts­theorie – so in etwa sieht die Welt der Werber aus. In Nietzsches Welt­anschauung schneidet der Skeptiker am Ende am Besten ab. Nietzsche sagt vieles und vieles wider­sprüchlich, was ihn auch nicht so leicht zu fassen macht.

10.10.2019

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